Handelsblatt

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Ausgabe 18.05.2005 / Nr. 94/20

Hohe Risikobereitschaft und kurze Wege
Familienunternehmen wie KHW mit der Spezialisierung im Großanlagenbau haben ihre Marktlücke gefunden

Ruth Vierbuchen

Meerbusch. Karl-Heinz Wöllner, geschäftsführender Gesellschafter der KHW-Gruppe, ist heute noch beeindruckt von der Professionalität seiner chinesischen Geschäftspartner. Der Mittelständler aus Meerbusch bei Düsseldorf hatte der chinesischen „Handan Iron and Steel Group“ den gebrauchten Hochofen 3 im Dortmunder Stadtteil Hörde verkauft. „Wir hatten den Chinesen einen kompletten Satz Zeichnungen über die Anlage zugeschickt“, erinnert sich Wöllner. „Das waren Zehntausende von Kopien“. Sie dienten als Grundlage für die Demontage des 1965 gebauten Hochofens der ThyssenKrupp Stahl AG. Etwa zwei bis drei Wochen hatten die Leute von Handan Steel Zeit, das Material zu sichten. Beim Treffen im KHW-Haus in Meerbusch sagte Handan-Präsident Li Liu freundlich aber bestimmt: „Es fehlen 15 Zeichnungen.“
Zunächst herrschte Verblüffung. Doch dann räumten die Vertreter von ThyssenKrupp ein, dass es im Archiv der Hoesch AG, früher Eigentümerin des Hochofens und 1992 von Krupp übernommen, einen Wasserschaden gegeben habe. Dabei seien die Zeichnungen so unleserlich geworden, dass eine Kopie nicht mehr angefertigt werden konnte. „Wir können die Zeichnungen lesen“, gab Präsident Liu selbstbewusst zurück. Und Wöllner bestätigte: „Die Chinesen haben die Pläne in den besten Zustand versetzt.“
In der Welt des Stahles hat KHW einen Seltenheitswert, wie es der promovierte Betriebswirt unkonventionell beschreibt: „Es gibt in diesem Bereich nicht so viele Spezialisten wie uns.“ 1964 hatte Wöllner die KHW-Gruppe gegründet – die Abkürzung steht schlicht für „Karl-Heinz Wöllner“. Erfahrungen hatte er bei der Hugo Stinnes oHG in Mülheim und bei Mannesmannröhren in Düsseldorf gesammelt und später in der Geschäftsleitung der Carborundum Schleifmittelwerke in Düsseldorf, Spezialist für Oberfläschentechnik. Diese ist der wesentliche Faktor bei der Erstellung von Stahl für Autos, chirurgische Werkzeuge oder Stahlteilen, die in den menschlichen Körper implantiert werden.
Gerade in seiner Beziehung zu Carborundum sieht Wöllner den Schlüssel seines Erfolgs: „Wir sind durch die Werksvertretung von Carvorundum Schleifanlagen in allen Stahlunternehmen tätig, in denen Edelstahl und Qualitätsstahl hergestellt werden.“ Kontakte und fundiertes Wissen quer durch die Branche über Neuheuten öffnen dem Familienunternehmen so manche Tür.
Als Mittelständler müsse man ein Spezialgebiet mitbringen, das ihn interessante mache, urteilt Klaus Gottwald, Referent der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA. Die Bereitschaft, wie in Wöllners Fall, der Stahlindustrie bei ihrer Globalisierungsstrategie nach Europa, Nordamerika, China und Brasilien zu folgen, hat zweifellos zur Sicherung seiner Existenz beigetragen. Viele Mittelständler würden sich auf regional begrenzte Märkte beschränken, moniert Gottwald. Und das führe häufig zu Problemen.
Wöllners Familienunternehmen mit etwa 60 bis 70 Mill. Euro Umsatz – je nach Auftragslage – und 55 Mitarbeitern vermarktet Industrieanlagen samt Engineering, Finanzierungshilfen, Beratung Kundenbetreuung – und eben auch stillgelegte Industrieanlagen der Stahlindustrie. Solche tonnenschweren Anlagen mit Spezialkränen abzubauen und Spezialfahrzeugen zu transportieren erfordert ein ganz besonderes Wissen, konzediert VDMA-Experte Gottwald: „Das Know-how und Flexibilität spielen eine große Rolle.
Eine große Risikobereitschaft gehört ebenfalls dazu. So auch als Wöllner 2002/2003 – weiderum für ThyssenKrupp Stahl – eine 5-gerüstige Tandem-Kaltbandstraße sowie ein Nachwalzwerk und eine Beize, die bisher in Duisburg und Bochum in Betrieb waren, an die Megasteel in Malaysia vermittelte. Den passenden Käufer für ein gebrauchte Anlage zu finden, ist ein immenser Aufwand. „Eine solche Anlage kann nur jemand kaufen, der schon eine Vorstufe besitzt“, erklärt Wöllner, “ und den muss man kennen.“
Megasteel produzierte bis dato nur Warmband und transportierte die Warmbandcoils nach Indonesien, um sie zu Kaltband weiterzuverarbeiten. “ Der Markt für solche Anlagen ist sehr diffizil und erfordert viel Fingerspitzengefühl bei der Akquise“, weiß der Familienunternehmer. „Es ist schon eine schwierige Aufgabe, das weltweit größte Kaltwalzwerk zu verkaufen.“
Viele hängt am Detail. So muss der Verkäufer auf die passenden Firmen im internationalen Markt zugehen und sie davon überzeugen, dass sie eine Ausweitung ihrer Anlagen benötigen. Acht Mal musste Wöllner – auf eigene Rechnung natürlich – nach Kuala Lumpur reisen, bis er den Verkauf unter Dach und Fach hatte. Wäre der Deal geplatzt, wäre KHW auf beträchtlichen Kosten sitzen geblieben.
Mittelständische Anlagenbauen fahren hier ein unglaich höheres Risiki als Großunternehmen, wie etwa Lurgi oder voestalpine, die zahlreiche Projetkte gleichzeitig laufen haben. Es fehle die Risikobetreuung, gibt Gottwald zu bedenken.
Doch die Bereitschaft des Mittelständlers, die teure Vorbereitungsphase erst einmal „auf die eigene Kappe zu nehmen“, wie Wöllner es ausdrückt, bietet im Wettstreit mit den Großen auch Vorteile.
Die Entscheidungswege sind kurz. „Diese Flexibilität braucht man für diesen Markt“, so Wöllner, „das macht uns interessant gegen die schwerfälligen Großunternehmen.“ Aber das heißt auch, dass KHW von der Person Wöllners und dessen Referenzen im Markt lebt. So zeigt sich Großkunde ThyssenKrupp Stahl mit der reibungslosen Organisation des Abbaus und der logistischen Abwicklung der Projekte zufrieden und bewertet die langjährige Zusammenarbeit als sehr positiv, wie ein Sprecher bestätigte.
„Ich hätte die Anlage noch zweimal verkaufen können“, berichtet Wöllner. Das Angebot gebrauchter Stahlwerke ist knapp. Deshalb empfindet er es auch als Drama, dass er für ein Edelstahlwerk der französischen Arcelor zwar zwei Kunden aus China an der Hand hat, die aber keine Einfuhrgenehmigung erhalten, weil sich die chinesische Stahlindustrie auf Grund politoscher Vorgaben zunächst konsolidieren soll.